Bei Nandus ist die Kinderstube reine Männersache

Erstmals Nachzucht der Laufvögel in der Wilhelma

Zweimal am Tag spielt sich neuerdings eine merkwürdige Szene in der Wilhelma ab: Ein schreitender Laufvogel durchmisst die Südamerika-Anlage, umkreist von fünf flitzenden Rennküken, während ein in sich ruhender Hirte gelegentlich in die Hände klatscht. Nandu-Hirte ist ein neuer Job mitten in Stuttgart. Im Zoologisch-Botanischen Garten haben die Charaktervögel der Pampa Brasiliens und Argentiniens Nachwuchs. Und das ist Neuland für alle Beteiligten, dem Neuzugang Brutus sei Dank. „Wir hatten bei den Nandus noch nie einen Hahn, der brütet“, sagt die Tierpflegerin Andrea Timm. Einen Hahn, der brütet? Richtig, bei den Nandus ist der Nachwuchs reine Männersache – fast zumindest: „Die Hennen legen nur die Eier, der Hahn brütet sie aus und betreut die Küken ein halbes Jahr lang allein“, sagt Timm. „Wir mussten die beiden Hennen Tara und Nila sogar abtrennen, damit der Hahn Brutus seine Ruhe hat, damit er sich um die Kleinen kümmern kann.“ Die Hennen leisten nun im Nachbargehege den vielen anderen Südamerikanern Gesellschaft: Alpakas, Vikunja, Maras und Ameisenbären.

Die Pekaris sperren die Wilhelma-Pfleger ebenso weg, wenn Brutus mit Gefolge zweimal am Tag betreuten Ausgang hat. Als Allesfresser könnten die neuweltlichen Nabelschweine den Mini-Nandus gefährlich werden. Denn während diese Vögel ausgewachsen 1,60 Meter hoch und bis zu 30 Kilo schwer werden, sind die einen Monat alten Küken gerade einmal handtellergroß. Deswegen brauchen sie im Moment menschlichen Geleitschutz. Denn Ungemach droht aus der Luft. Von den ursprünglich sechs Küken haben sich Krähen eines geholt. „Der wehrhafte Hahn verteidigt seine Küken schon“, berichtet Timm. „Aber gegen einen ganzen Schwarm Krähen kann er nicht alle abschirmen.“ Also hält ein Hirte Wache, während sie sich ihr Futter zusammensuchen. „Als Nestflüchter ernähren sich die Küken sofort selbst“, so Timm. „Brutus zeigt ihnen die guten Stellen – und wo Papa pickt, picken sie auch. Damit sie jetzt im Spätherbst satt werden, füttern wir natürlich zu: zum Beispiel Salat, Kartoffeln, Sellerie und ein paar Insekten.“ Besonderes Augenmerk legen die Pfleger auf einen Sonderling des Quintetts. Ein Küken ist ein Weißling. Ihm fehlen nicht, wie einem Albino, genetisch bedingt alle Farbpigmente, aber es hat als Anomalie ein sehr helles, fast weißes Federkleid. In der Natur kommen die auffälligen Weißlinge selten vor, weil sie sich schlecht tarnen können und daher leichte Beute sind.

Dass das Überleben der ganzen Art der Nandus inzwischen potenziell gefährdet ist, hat allerdings andere Ursachen. Zunächst haben die Bestände deutlich abgenommen, weil er bis in die 1980er Jahre intensiv gejagt wurde, um sein Fleisch und Leder zu verwerten. Die Federn endeten oft als Staubwedel. Und bis heute verdrängen Bauern den Laufvogel zunehmend, indem sie immer mehr seines Lebensraums in der Pampa in landwirtschaftliche Felder umwandeln.